Stiftung für die nachhaltige Entwicklung der Bergregionen

2022
DAS WORT DES DIREKTORS

«Suffizienz wird zu einem Muss»

Angesichts der Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaften stehen, wird Innovation als die Lösung schlechthin angepriesen. Nun, sie ist es zumindest teilweise, insofern sie dazu beiträgt, unseren Lebensstil grundlegend zu verändern.

Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), der oft als Weltklimarat bezeichnet wird, hat im März 2023 seinen sechsten Bericht veröffentlicht. Und es gibt – welch eine Überraschung – schlechte Nachrichten. Was also tun? Welche Innovationen brauchen wir heute am dringendsten? Meiner Meinung nach nicht solche, die es uns erlauben, den Status quo aufrechtzuerhalten. Denn Diesel-Bulldozer durch Elektro-Bulldozer zu ersetzen wird nichts daran ändern, dass wir Ökosysteme zerstören, die für unsere Gesellschaften unverzichtbar sind.

Mit elektrischem Antrieb fahren oder gar nicht fahren?

Auch wenn es manchen Kritikerinnen und Kritikern nicht gefällt: Die globale Erwärmung ist tatsächlich auf die menschlichen Aktivitäten zurückzuführen. Da sind technologische Innovationen, die es uns lediglich ermöglichen, nicht nachhaltige Produktions- und Konsummuster weiterzuführen, sinnlos. Was nützt uns ein effizientes Bewässerungssystem bei der Produktion von pestizidbelasteten Lebensmitteln, die danach Tausende von Kilometern weit transportiert werden? Wie viel bringt ein Elektroauto bei einer unnötigen Fahrt?

Weniger und besser produzieren

Unseren Lebensstil zu überdenken führt zwangsläufig dazu, Systeme in Betracht zu ziehen, die weniger produzieren und sich stattdessen auf eine bessere Qualität konzentrieren. Eine suffiziente Lebensweise wird unvermeidlich. Am Anfang einer technischen Innovation steht immer eine Idee, ein Wille. Aber ob man sich dabei von der Frage «Wie kann ich meinen Gewinn kurzfristig maximieren?» oder «Wie kann ich ein Gut herstellen, das möglichst geringe direkte und indirekte Auswirkungen hat?» leiten lässt, wird nicht dieselben Neuerungen hervorbringen.

Systemische, nachhaltige und soziale Innovationen

Angesichts der Dringlichkeit der Situation braucht es unbedingt technische Lösungen, mit denen CO2-Emissionen gesenkt werden können. Allerdings dürfen Innovationen nicht nur technischer Natur sein. Sie müssen auch wirtschaftlich, sozial und territorial sein. So ist zwar der Übergang zur Elektromobilität notwendig, doch kann er nur in jenen Gebieten auch wirklich eine Wirkung entfalten, in denen die Menschen weniger auf das Auto angewiesen sind. Innovationen sollten der Förderung einer Kreislaufwirtschaft und neuer Governance-Formen dienen und es überdies ermöglichen, die Auswirkungen unserer Produktion zu messen und eine andere Art der Besteuerung zu finden. Ausserdem müssen sie tiefgreifende strukturelle Veränderungen in allen Sektoren unterstützen. Mit anderen Worten: Innovationen müssen ganzheitlich sein, zum Schutz unserer Ökosysteme beitragen und die Bedürfnisse der Schwächsten berücksichtigen.

Eric Nanchen
Eric Nanchen, Direktor FDDM